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Das fünfte Buch
Franz Eugster stolpert
vor einem brennenden Haus buchstäblich über die Leiche von Ferdinand von
Muotathal. Sicher war es Brandstiftung, aber war es auch Mord? Von Muotathal
war ein wichtiger Akteur bei den Jubiläumsfeierlichkeiten »500 Jahre Appenzell
bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft«. Findet sich dort ein Motiv? Oder
hat der Anschlag damit zu tun, dass das Opfer Mistel-Essenzen vertrieben hat?
Oder gar mit einem unbekannten Appenzeller-Freiheits-Marsch von Richard Wagner?
Zusammen mit der klugen Adelina löst Franz den Fall schließlich mit einem
überraschenden Ende.
Ein Fall aus den
Tiefen der Appenzeller Geschichte
Das sympathische Ermittlerduo Adelina und Franz
Eugster taucht bei seinem neuen Fall tief in die Geschichte des Appenzellerlandes
ein. Im Zentrum stehen die Jubiläumsfeierlichkeiten zum fünfhundertjährigen
Beitritt des Landes Appenzell zur Eidgenossenschaft. Andreas Giger gelingt es,
wie keinem zweiten Autor, die Historie und liebenswürdigen Eigenarten der
Region in einer spannenden Krimihandlung aufgehen zu lassen. Dabei schreibt er
mit spitzem, augenzwinkerndem Humor, der den packenden Plot harmonisch abrundet
und das Buch zu einem äußerst kurzweiligen Lesevergnügen werden lässt.
Erstauflage: 2014, Emons-Verlag, Köln
Umfang: 160 Seiten
Preis: € 9.90
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Das vierte Buch
Die bekannte Gartengestalterin Graziella Rosengarten wird erschossen in
einem Appenzeller Landgasthof aufgefunden. Gleichzeitig wird die Zürcher
Gartenbaufirma Spross erpresst. Was haben die beiden Fälle miteinander zu tun?
Das bewährte Privatschnüfflerpaar Franz und Adelina macht sich auf die Suche
nach Antworten, stösst dabei auf finstere Machenschaften
der Hochfinanz und gerät selbst in tödliche Gefahr.
Märchenhaft heiter und haarscharf realistisch
In Rosenrot ist mausetot gelingt
dem Autor Andreas Giger eine spannende Vermischung seiner Figuren mit denen aus
einem bekannten Grimmschen Märchen. Daneben wird das
Thema der kunstvollen Gartengestaltung wunderbar plastisch und anregend
beschrieben und fügt sich gut in die Geschichte ein. Giger ist seinem lockeren
Stil treu geblieben und schreibt klar und verständlich. Erneut schickt er das
sympathische und ungleiche Ermittlerpaar Franz und Adelina auf Verbrecherjagd,
das durch seine unkonventionelle Art dem Täter auf die Spur kommt. Ein
vergnüglicher Appenzeller- Krimi, der bis nach Zürich führt.
Erstauflage: 2013, Emons-Verlag, Köln
Umfang: 144 Seiten
Preis: € 8.95
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Das dritte Buch
Unterhalb des Säntis-Gipfels
entdeckt Privatermittler Franz Eugster eine Gletscherleiche samt dem
allerersten Appenzeller Käse. Kurz darauf sind Leiche und Käse verschwunden.
Auf seiner Suche quer durchs Appenzellerland stößt Eugster auf allerhand
skurrile Gestalten. Erst als schließlich ein dunkles Kapitel der Schweizer
Geschichte enthüllt wird, kommt es zum furiosen Finale.
Humorvoll, heiter und klug - der dritte Käse-Krimi aus
dem Appenzellerland.
Erstauflage: 2013, Emons-Verlag, Köln
Umfang: 144 Seiten
Preis: € 8.95
Probelesen: Siehe unten
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Leseprobe:
Leichenraub mit Eichenlaub
Vielleicht
zweihundert Schritte unterhalb der Gletscherzunge, die ich schon gut sehen
konnte, brauchte ich eine letzte kleine Rast. Ich setzte mich auf einen Stein,
der mich irgendwie angezogen hatte, und sinnierte über eine Spalte zwischen
zwei Steinen, die, wenn man mit dem Fuss blöd hineingeraten würde, zu einem
ziemlich folgenschweren Sturz führen könnte.
Wie Adelina auch
schon festgestellt hatte, übten solche Katastrophenszenarios eine gewisse
Faszination auf mich aus. Dazu kam, dass ich selbst mal einen solchen saublöden
Sturz erlebt hatte, der einen Knochenbruch verursachte. Und doch gab es
eigentlich keinen Grund für die plastischen Bilder vom Sturz eines mir fremden
Menschen an genau diesem Ort, die sich jetzt mit Macht in meinem Kopf
ausbreiteten.
Plötzlich
spielte auch noch mein Gehör verrückt. Mir war nämlich, als ob ich wieder den
Song hören würde, der mich vor Kurzem noch so beschäftigt hatte. Nicht wirklich
natürlich, ausser dem Refrain waren die Worte nicht zu verstehen, und auch die
Musik klang irgendwie fremdartig, doch die Gefühle, die ich verspürte, waren
exakt dieselben wie beim Hören von Adeles Lied. Allerdings kam die Musik nicht
aus meinem Kopf, sondern von oben, vom Blau Schnee her.
Nun glaube ich
zwar durchaus an die grundsätzliche Existenz von Dingen zwischen Himmel und
Erde, die wir noch nicht verstehen, doch an platte esoterische Phänomene wie
fremde Stimmen in meinem Kopf habe ich nie geglaubt, geschweige denn, dass ich
so etwas wie eine Geistererscheinung schon selbst erlebt hätte. Jetzt
allerdings bekam ich doch meine Zweifel, zumal die Frauenstimme, die ich hörte,
unzweifelhaft nicht aus einem leibhaftigen Lautsprecher oder gar einem
lebendigen Leib kommen konnte, dafür war sie viel zu fein- stofflich, und auf
einer Mikrofonaufnahme hätte man sicher nichts gehört.
Die Stimme war
da, in meinem Kopf, wenn sie auch unbestreitbar von anderswoher stammte. Es war
auch eindeutig nicht die Stimme von Adele, auch wenn sie dieselben Gefühle
ausdrückte, die Gefühle einer verzweifelten verlassenen Frau. Nur das
abschliessende «Wann werden wir uns wiedersehen?» trug noch stärker als bei
Adele die Gewissheit einer Antwort in sich: nie mehr.
Die Stimme in
meinem Kopf übte einen unwiderstehlichen Sog auf mich aus, sodass ich die
letzten Meter hinauf zu jenem Punkt am unteren Gletscherrand, zu dem sie mich
zog, fast rannte. Doch als ich schwitzend und keuchend oben ankam, war sie
verstummt. Dafür entdeckten meine herumschweifen- den Augen bald etwas
Ungewöhnliches: Aus dem Eis des Blau Schnees ragte, knapp oberhalb des
Felsengrunds, ein Schuh. Und darin steckte ein Fuss.
Der extrem
heisse Sommer war auch am Blau Schnee nicht spurlos vorbeigegangen. Firn- und Eisreste zeugten davon, dass sich der Gletscher in den
vergangenen Wochen um etliche Meter zurückgezogen hatte. Neben dem Schuh sah
ich den Anfang eines überhängenden Felsens, unter dessen Vorsprung sich ein
bläulich schimmernder Block aus blankem Eis ab- zeichnete, der allerdings für
mein Auge undurchdringlich blieb.
Doch dann
erreichte die Sonne am wolkenlosen septemberblauen Himmel einen Punkt, von dem
aus ihre Strahlen genau im richtigen Winkel auf diesen Eisblock trafen, um ihn
durchsichtig zu machen. So konnte ich sehen, dass zu dem aus dem Eis ragenden
Fuss ein ganzer in den Eisblock eingeschlossener Mensch gehörte.
Und dieser
Mensch war unverkennbar eine Frau. Das sah ich nicht nur an ihrer Bekleidung,
sondern auch an ihrem Gesicht, das fast unversehrt erschien, was auch für den
restlichen Körper galt, soweit ich das beurteilen konnte. Sie lag auf dem
rücken, die Hände im Schoss gefaltet. Nur der aus dem Eis ragende Fuss erschien
mir unnatürlich verdreht.
Bei näherer
Betrachtung fiel mir noch etwas auf. Selbst mir als unverbesserlichem
Mode-Banausen war klar, dass Schuhe und Bekleidung nicht aus unserer Zeit
stammen konnten. Obwohl ich keine Ahnung davon hatte, was man wann getragen
hatte, schätzte ich mal, dass die Gletscherleiche schon mindestens zweihundert
Jahre da oben gelegen haben müsste. Womit ich ziemlich danebenlag.
Für historische Überlegungen hatte ich jetzt ohnehin keine Zeit. Ich nutzte
den günstigen Sonnenstand, um mit meinem neuen iPhone einige Fotos aufzunehmen,
und rief dann meinen alten Kumpel Karl Abderhalden, Chef der Appenzell
Ausserrhoder Kriminalpolizei, auf seinem privaten Handy an.
* * * *
Nur eine gute Stunde dauerte es, bis ich die
unverkennbaren Geräusche eines sich nähernden Helikopters hörte. Karl hatte
ganze Arbeit geleistet und nicht nur das zuständige Team organisiert, sondern
zudem auch noch die bequemste Transportmöglichkeit. Er hatte es sich nicht
nehmen lassen, selbst dabei zu sein, und kletterte nun als Erster aus dem
Helikopter, der nicht allzu weit weg von meiner Position einen Landeplatz
gefunden hatte.
Das Trüppchen, das sich nun rasch näherte, umfasste
al- les, was dazugehört: Zwei Männer von der Rettungskolonne Appenzell, die
Kantonsärztin, einen Spurensicherer, zwei Polizisten in Uniform und den
innerrhodischen Polizeichef, also den Amtskollegen von Karl. Der Amtsschimmel
musste galoppieren, auch wenn es in diesem Fall wenig zu retten und zu
ermitteln gab.
Bevor ich dem Trupp ein paar Schritte entgegenging,
verstaute ich mein iPhone und meine Pocketkamera in den Hosentaschen. Ich wollte
niemanden auf die Idee bringen, dass ich schon diverse Aufnahmen von der
Gletscherleiche gemacht hatte. Ich war in der Wartezeit nicht untätig geblieben
und hatte mit meiner Kamera, die ich wie immer ebenfalls dabeihatte, die
Sonnenstrahlen genutzt, welche die Frau im Eis ideal ausleuchteten. Ich hatte
sogar mit meinen Schuhspitzen einige Tritte in den nahen Firnabbruch gegraben
und war hinaufgeklettert, um ein paar Aufnahmen von oben machen zu können.
Da ich einen wackligen Stand hatte, konnte ich nicht
mehr als drei Fotos machen, und zwei davon waren tatsächlich verwackelt, wie
ich bei der folgenden Sichtung feststellen musste. Doch das dritte war perfekt.
Man konnte darauf die Tote im Eis von schräg oben sehen, weitgehend klar,
eingehüllt nur von einem sanften bläulichen Schimmer. Kein Modefotograf hätte
eine bessere Inszenierung von Schneewittchen im Eissarg hinbekommen.
Apropos Mode: Jetzt, wo ich auf dem Bild mehr sah als
zuvor in der Realität, wurde sogar mir Laien klar, dass die Kleidermode noch
älter sein musste, als ich zuerst geschätzt hatte. Doch die Mode interessierte
mich im Moment weniger. Vielmehr zoomte ich auf dem Bildschirm meiner Kamera
das Gesicht näher heran. Und weil ich eben an Schneewittchen gedacht hatte,
fiel mir jetzt nur ein vergleichbares Gesicht ein: jenes der Mona Lisa.
Auch dieses Gesicht war nicht unbedingt im
landläufigen Sinne schön, doch ungemein ausdrucksvoll. Und auch in diesem nur
angedeuteten Lächeln steckte ein Rätsel, eine Mischung aus Trauer und Frieden,
aus Bitterkeit und Versöhnung. Einen Unterschied zu Mona Lisa und
Schneewittchen allerdings gab es: Hier lag ein Mensch aus Fleisch und Blut,
wenngleich seit langer Zeit tot, konserviert in Eis, das sich zu guter Letzt
doch als nicht ewig erwiesen hatte.
Noch einmal betrachtete ich das Bild, von dem ich
schon wusste, dass es sehr gut war, aber noch nicht ahnte, dass es zur Ikone
werden würde, und entdeckte hinter dem Kopf der Frau ein zunächst
unidentifizierbares Objekt. Doch auch hier half Zoomen: Beim Objekt handelte es
sich ohne Zweifel um einen runden Käselaib.
Adelina hatte die Wartezeit genutzt, um schon mal nach
Bildern und Berichten von Gletscherleichen zu googeln, und dabei nichts
Vergleichbares gefunden. Ötzi war zwar viel älter, aber doch ziemlich
eingeschrumpelt. In der Schweiz hatte es in der Nähe des Piz Kesch im Kanton Graubünden schon einmal einen spektakulären
Fund einer Gletscherleiche aus dem 17. Jahrhundert gegeben – übrigens
auch eine Frau –, doch auch deren Zustand war mit dem meines Fundes nicht
annähernd zu vergleichen.
Bevor wir in unseren gemeinsamen Schlafsack krochen,
um mit der Hingabe an das Leben die Gedanken an Leichen aller Art zu
verscheuchen, unterhielten wir uns noch darüber, welchen Namen die Tote vom
Blau Schnee wohl erhalten würde. Da sich einmal in die Welt gekommene Muster
hartnäckig halten, waren wir uns bald einig, dass sie, so wie Ötzi kurz und
bündig nach der Region seines Fundortes genannt wurde, als Appenzellerin wohl
unvermeidlich «Appi» heissen würde.
* * * * *
Damit fehlte nach wie vor jeder konkrete Hinweis
darauf, was Appi da oben am Blau Schnee zu suchen gehabt hatte.
Mit einer Ausnahme: Sie hatte ja einen Käselaib dabei,
den sie auf einem eigens dafür konstruierten Holzgestell, das heute als «Räf» bezeichnet wird, auf dem Rücken mitgetragen haben
musste. Und über diesen Käse gab es Bemerkenswertes zu berichten. Die
lebensmittelchemischen Analysen hatten nämlich ergeben, dass seine
Zusammensetzung jener des heutigen Appenzeller Käses bis aufs Haar glich. Es
gab auch eindeutige Hinweise darauf, dass der Käselaib regelmässig mit einer
Kräutersulz eingerieben worden war.
Nach harten Verhandlungen hatte es die Sortenorganisation
Appenzeller Käse geschafft, einige kleine Stücke für einen Geschmackstest zu
beschaffen. Der Käse war einwandfrei konserviert, sodass es keine Einwände
dagegen gab, dass einige versierte Testpersonen, die schon aus einem winzigen
Biss den Geschmack herausspüren können, einen solchen Praxistest machten.
Ergebnis: Man könnte diesen siebenhundert Jahre alten Käse zur Not als gut
gereiften, wenngleich wegen allzu langer Lagerzeit etwas geschmacklos
gewordenen Appenzeller verkaufen – als ersten Appenzeller Käse der Welt
sozusagen.
Was natürlich niemand vorhatte. Vielmehr wurde in der Medienkonferenz
auch darüber informiert, wie es nun weitergehen sollte. Erst einmal würde Appi
mitsamt ihrem Käse in die ebenfalls in St. Gallen angesiedelte EMPA (Eidgenössische
Materialprüfungsanstalt) gebracht, wo man mit Hilfe von Hightechmethoden weitere Untersuchungen anstellen wollte. Derweil würde man mit Hochdruck an der
Suche für einen würdigen Ausstellungsort arbeiten, wo Appi und ihr Käse
möglichst bald einem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden sollten.
In der anschliessenden Fragenrunde wurde noch einmal
heftig darüber spekuliert, was Appi wohl mit dem Käse da oben gewollt habe. Die
Historikerin erklärte, die Landwirtschaft sei damals fast vollständig auf
Eigenversorgung beschränkt gewesen, doch sei es durchaus denkbar, dass ein
gewitzter Käseproduzent, der in diesem Fall wohl eine Käseproduzentin gewesen
sei, etwas über den Eigenbedarf hinaus hergestellt habe, um es dann zu
verkaufen.
Da kaum anzunehmen sei, dass Appi auf dem Säntisgipfel
einen Käufer finden wollte, käme eigentlich nur eine Direktüberschreitung
hinüber in Richtung Schwägalp in Frage. Dort sei eine
frühe Käseherstellung in beträchtlichem Umfang nachweisbar. Wohl sei die Route,
die Appi dafür gewählt habe, nicht unbedingt die naheliegendste,
aber eine für eine gewandte Berggängerin durchaus
mögliche. Wem sie den Käse bringen wollte, bleibe natürlich ungeklärt.
Möglicherweise einem Senn, der zusammen mit seinem eigenen Käse auch fremden in
Kommission verkaufte, oder vielleicht auch einem fahrenden Händler.
Die lokalpatriotische Regionalpresse bezeichnete Appi
am nächsten Tag denn auch flugs als Erfinderin des Appenzeller Käses, die
darüber hinaus offenbar auch noch Verkaufstalent gehabt habe. Mit dieser Mischung
aus einem einmaligen Produkt und einer gewitzten Vermarktungsstrategie sei sie
bis heute Vorbild. Und auch sonst konnten sich die Marketing- Verantwortlichen
von der Sortenorganisation Appenzeller Käse nicht über mangelnde Publizität
beklagen. Die Kombination aus schöner Gletscherleiche und einem vollständig
erhaltenen und im wahrsten Sinne urwüchsigen Naturprodukt war für kurze Zeit
ein Medienereignis erster Güte.
Dann schwand das öffentliche Interesse rapide. Das lag
nicht zuletzt daran, dass es mit Ausnahme des mittlerweile sattsam bekannten
meinigen keine wirklich guten Bilder von Appi gab. Die Gnade des richtigen
Moments mit exakt dem idealen Licht, der ich meine Aufnahme verdankte, hatte
sich nicht wiederholt, und im Untersuchungslabor liess sich diese Magie des
Augenblicks ebenfalls nicht wiederherstellen.
So sah denn keine Redaktion einen Grund, nochmals auf
das Thema Appi zurückzukommen. Bis zu jenem Tag etwa zwei Wochen nach der
Medienkonferenz, als der «Blick» in riesigen Lettern verkündete: «Appi
entführt!»
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Das zweite Buch
Das Bewahrungskomitee für das geheime Appenzeller-Kräutersulz-Rezept verkostet einen Käse, der ein geradezu rauschhaftes Gefühl auslöst. Es stellt sich heraus, dass der Effekt auf das jahrhundertealte, streng gehütete Kräuterbitter- Rezept eines Mönchs zurückgeht. Doch wie kommt der Käse zu dieser Wirkung – und was hat der gewaltsame Tod eines Sonderlings im abgelegenen Nord damit zu tun. Eine hochspannende Story um Appenzeller Geschichten und Skurrilitäten, Mythen und Geheimnisse.
Erstauflage: 2013, Emons-Verlag, Köln
Umfang: 144 Seiten
Preis: € 8.95
Probelesen: Siehe unten
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Leseprobe:
Mord im Nord
Zunächst schlug ich jedoch eine
Stärkung vor. Ich holte ein sorgsam gehütetes grösseres Stück Appenzeller Käse
aus dem Kühlschrank, schnitt davon zwei Portionen von je ungefähr fünfzig Gramm
ab, und servierte den Käse ohne weitere Beilagen. Ich schlug vor, den
vorgesehenen Wein später zu trinken. Adelina schaute darob leicht erstaunt, doch sie kaute brav ihren Appenzeller, der ihr, wie sie
versicherte, wie immer hervorragend schmecke.
Wir
plauderten eine ganze Zeit über dieses und jenes, ohne das heikle Thema Soma zu
streifen. Nach einer knappen Stunde fragte ich Adelina ganz harmlos, wie sie
sich fühle. Sie horchte eine Weile in sich hinein und sagte dann, sie wisse
natürlich, dass ihre Wortwahl vom letzten Willen von Hans Bärlocher beeinflusst worden sei, doch sie finde tatsächlich kein besseres Wort für ihre
Empfindungen als Seelenfrieden. Das sei doch eher überraschend, sei sie doch
bisher wegen meiner Geheimniskrämerei aufgeregt und verärgert und angespannt
gewesen, doch jetzt erfülle, nach einer kurzen Übergangszeit, tatsächlich
Frieden ihre Seele.
Normalerweise
daure das bei ihr viel länger. Ein Glas Wein oder ein Pfeifchen könnten diesen
Entspannungsprozess erleichtern und beschleunigen, aber beides, stellte sie
richtigerweise fest, hätten wir ja heute noch nicht gehabt. Dennoch fühle sich
ihr jetziger Bewusstseinszustand an, als ob sie etwas genommen hätte. Sie habe
ja einige Erfahrungen mit durch Moleküle veränderten Bewusstseinszuständen und
könne das deswegen beurteilen. Allerdings gleiche ihr jetziger Zustand keiner
ihrer Erfahrungen. Sehr sanft und subtil fühle es sich an, klar und einfach,
gelassen und souverän, fried- und freudvoll. Ja,
Seelenfrieden sei wirklich ein gutes Wort dafür.
Sie
schwieg eine Weile, blickte mich dann fragend an und begehrte zu wissen, ob ich
ihr nicht doch vielleicht heimlich etwas verabreicht hätte. Ich schwieg
vielsagend. Adelinas Blick wanderte umher, um schliesslich an den Rindenresten unserer Käsemahlzeit hängen zu bleiben. Ein Ausdruck
ungläubigen Staunens erschien auf ihrem Gesicht. Sie brauchte offenbar eine
Weile, um die Erkenntnis zu verdauen. Ob es wirklich der Käse gewesen sei,
wollte sie wissen. Meine Antwort bestand aus einem einzigen Wort: ja.
Ein
Stück Appenzeller Käse, das nicht nur hervorragend schmeckt, sondern auch
Seelenfrieden schenkt – Adelina konnte es noch immer nicht fassen. Ich
versprach, ihr gleich mehr darüber zu berichten. Zunächst kramte ich eine blaue
Klarsichthülle aus dem Stapel, in dem ich Material über Käse sammle, um ihr zu
zeigen, dass die Idee auch grundsätzlich nicht so abwegig war, wie sie zunächst
klang.
Der
erste Zeitungsausschnitt berichtete unter dem Titel »Käse ist weltweit
beliebtestes Diebesgut bei Lebensmitteln« darüber, dass 2011 der Käse das
Frischfleisch vom Spitzenplatz auf der Hitliste der weltweit meistgeklauten
Lebensmittel verdrängt habe, was doch eindeutig darauf hindeutet, dass Käse ein
ganz besonderes Lebens-Mittel ist.
Der
zweite Ausschnitt war eine Buchbesprechung, die wie folgt eingeleitet wurde:
»Der amerikanische Journalist James Nestor liefert schräge Ideen für
hundertfünfundsiebzig Räusche ohne Drogen.« Gelb markiert hatte ich mir in
diesem Artikel den folgenden Satz: »Und zum Glück liefert Nestor einige richtig
schräge Ideen: Sich freiwillig auf Schlafentzug setzen« – und jetzt kam
es – »vor dem Zubettgehen stets Käse essen!« Mehr Details standen da
leider nicht, und ich hatte mir das Buch auch nicht besorgt, doch der
Zusammenhang zwischen »Rausch ohne Drogen« und »Käse« war offenkundig hergestellt.
Auf
einem Zettel fand sich ein Zitat aus einer Radiowerbung eines deutschen
Senders, den der Fahrer eines Postautos, in dem ich irgendwann sass,
eingestellt hatte: »Natürlicher Genuss mit Wirkung!« Dieser Slogan bezog sich
zwar auf ein mir unbekanntes Mineralwasser, doch er war ein deutliches Indiz
dafür, dass der Gedanke, natürliche Lebensmittel wie Wasser oder eben auch Käse
könnten mehr bewirken, als Hunger und Durst zu stillen, durchaus in der Luft
lag.
Im
Mäppchen war noch ein Zettel mit der Web-Adresse von Gruyère-Käse,
also einer direkten Konkurrenz von Appenzeller Käse. Ich rief die entsprechende
Seite auf, auf der man den aktuellen Fernsehspot anschauen konnte. In diesem
kommt ein völlig überdrehter Mountainbike-Fahrer nach einer aufregenden Abfahrt
in der Alphütte an und berichtet dort einem völlig ruhigen jungen Mann unter
grossem Fuchteln und Zappeln von seinen Erlebnissen. Nachdem er eine Weile
zugehört hat, greift der junge Mann zu einem Stück Käse und bietet es dem Zappelphilipp mit den Worten »Probier das. Dann wird's besser!« an. Der ob seiner Überdrehtheit mittlerweile zusammengebrochene Biker isst einige Bissen Gruyère,
sagte dann: »Geht besser!«, und beruhigt sich in Sekundenbruchteilen total. Im
Abspann verkündet eine Stimme aus dem Off: »Die wahre Natur beruhigt.« Viel
direkter konnte die Aufforderung, ein Stück Käse als Psychopharmakon zu nutzen,
wohl kaum formuliert werden.
Adelina
musste zugeben, die Idee, ein Stück Käse könne Seelenfrieden bringen, sei wohl
doch weniger abwegig, als sie zunächst gedacht hätte. Umso mehr brannte sie
darauf, jetzt endlich die Geschichte von jenem Käse zu hören, den mittlerweile
alle Eingeweihten nur noch »Appenzeller Secret«
nannte. Nachdem wir uns endlich ein Glas Wein und so gegönnt hatten, legte ich
los.
Davon, dass ich kurz nach meinem
ersten Fall auf verschlungenen Pfaden ins streng geheime Bewahrungskomitee für
das Geheimrezept von Appenzeller Käse berufen worden war, hatte ich Adelina
schon erzählt. Und genau dort begann vor einigen Monaten die Geschichte von
»Appenzeller Secret«. Es war erst die zweite rituelle
Versammlung des Bewahrungskomitees, an der ich teilnahm. Zunächst wurde nach
dem bewährten Verfahren, das keinem der Beteiligten die volle Kenntnis des
Geheimrezepts erlaubt, die übliche Menge Kräutersulz produziert, die
bekanntlich dem Appenzeller Käse den unvergleichlichen Geschmack gibt, weshalb
ihr Rezept unbedingt geheim gehalten werden muss.
Das
Ritual verlief ebenso feierlich und würdevoll, wie ich es beim ersten Mal
kennengelernt hatte. Gegen Ende lockerte sich die Stimmung naturgemäss etwas
auf, weil es ja zum Ritual gehörte, dass jede Runde des Produktionsprozesses
mit einem Schluck Appenzeller Alpenbitter gekrönt wird. Da das
Bewahrungskomitee aus sieben gestandenen Mannsbildern besteht, die alle
ordentlich was vertragen, konnte man die Runde als höchstens ganz leicht
angeheitert bezeichnen.
Das
kleine Detail, wonach das Bewahrungskomitee traditionsgemäss ausschliesslich
aus Männern besteht und damit wohl eines der letzten solchen Gremien ausserhalb
des Vatikans ist, hatte ich Adelina bisher verschwiegen. Sie regte sich einen
Moment lang fürchterlich darüber auf, doch da der Appenzeller Secret noch nachwirkte und sie neugierig auf den Fortgang
der Geschichte war, beruhigte sie sich rasch und hörte wieder zu.
Die
unverrückbare Tagesordnung des Bewahrungskomitees sieht vor, dass nach der
Produktion der neuen Kräutersulz das Ergebnis einer früheren Produktion
getestet wird. Konkret wird von jenem Käse gekostet, der mit der Kräutersulz aus
der vorletzten Versammlung des geheimen Komitees eingerieben worden ist. Um das
Geschmacksurteil nicht durch einen zu hohen Alkoholpegel zu trüben, wird eine
Stunde lang nur Wasser ausgeschenkt, wobei es sich selbstverständlich um
Appenzeller Mineralwasser aus dem nahen Gontenbad handelt. Sonst gibt es während dieser Stunde vor dem feierlichen Abschluss des
rituellen Abends keine Vorschriften. Die Mitglieder des Bewahrungskomitees
plaudern deshalb in dieser Zeit über dieses und jenes und nutzen sie zu dem,
was man neumodisch »Networking« nennt.
Die
Stunde war fast vorbei, als ein Mitglied des Bewahrungskomitees um allgemeine
Aufmerksamkeit bat. Der Name tut hier nichts zur Sache und muss natürlich
geheim bleiben, also nennen wir ihn einfach mal Heiri. Heiri, ein Umweltschützer und Grüner der ersten
Stunde, war mittlerweile in Ehren ergraut, was man seinem zotteligen Vollbart
deutlich ansah. Er geht sommers wie winters barfuss, hatte sich auch mal
politisch betätigt und ist mittlerweile ein anerkannter Experte für
intelligente Energiekonzepte geworden. In das Bewahrungskomitee war er wie ich
über das zweistufige Verfahren aus zufälliger und gezielter Auswahl gekommen
und er ist dort ein leuchtendes Beispiel für die weise Unvoreingenommenheit bei
der Erneuerung dieses Geheimbundes.
Heiri jedenfalls sagte in die entstandene Stille hinein, er
habe ja bekannterweise früher so manchen Joint
geraucht und so manches Pilzsüppchen gelöffelt und verfüge deshalb über
einschlägige Erfahrungen. Die würden ihm sagen, dass er sich im Moment
eindeutig auf einem kleinen Trip befände. Am Alkohol könne es nicht liegen, sie
hätten ja eine Stunde lang nichts getrunken, und die beschriebene Wirkung habe
erst vor Kurzem angefangen. Ob es den anderen auch so ginge?
Der
zweite, der das Wort ergriff, war Moritz – auch das natürlich nicht sein
richtiger Name. Auch er trägt einen Vollbart, ist aber sonst das Gegenstück zu Heiri, ein äusserst traditionsbewusster Milchbauer, der
sich selbst, und den andere, eindeutig dem konservativen Lager zuordnen. Moritz
äusserte sich dahingehend, dass er sich sehr wohl auch etwas »räuschelig« fühle, wie er sich ausdrückte.
Es
reihten sich nach und nach auch die anderen in den Chor jener ein, die von
einer deutlich wahrnehmbaren Veränderung des Gemüts zu berichten wussten. Ich
selbst hütete mich, auf eigene Erfahrungen mit veränderten
Bewusstseinszuständen zu verweisen, da ich nicht wusste, ob ich mit ebenso viel
Toleranz rechnen durfte wie Heiri. Doch als ich
sagte, auch ich spüre eine deutlich wahrnehmbare Veränderung meines
geistig-seelischen Grundzustands, und zwar eine sehr angenehme, entsprach dies
der Wahrheit.
Die
anderen berichteten jetzt ausnahmslos, es handle sich um eine zwar unerwartete
und deshalb etwas seltsame Erfahrung, doch eindeutig um eine positive. Zu deren
Beschreibung verwendeten sie ganz ähnliche Worte, wie sie Adelina eben benutzt
hatte. Heiri, der sich im Laufe seines langen Lebens
auch intensiv mit Theologie und Psychologie befasst hatte, war es schliesslich,
der die Erfahrung auf den Punkt brachte: Seelenfrieden. Niemand fand ein
besseres Wort für die eben gemachte Erfahrung, die nach etwa einer halben
Stunde sanft ausklang.
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Das erste Buch
Ein
Buch über Appenzeller Geheimnisse soll der abgehalfterte Lokaljournalist Franz
Eugster aus dem Appenzeller Vorderland schreiben – und dann stolpert er über eine Leiche in der Bleiche.
Wie er mit gütiger Mithilfe von Temporärfreundin Adelina und Kater Grizzly
schließlich die Geheimnisse um das jähe Ende eines kommenden Königs von
Appenzell enträtselt und dabei Land, Leuten und Wesen des seltsamen Landstrichs
Appenzell näher kommt, schildert dieser vergnügliche erste
Appenzeller-Käse-Krimi der Welt.
Neuauflage: 2012, Emons-Verlag, Köln
Umfang: 128 Seiten
Preis: € 8.95
Probelesen: Siehe unten
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Leseprobe:
Eine
Leiche in der Bleiche

Vorbemerkung:
Ich mache diese Aufzeichnungen aus alter Gewohnheit als früherer Lokalreporter.
Damals habe ich ein Gespür für Geschichten entwickelt, aus denen was werden
könnte, und war dann jeweils froh um das schon aufgeschriebene Material. Und
aus dieser Geschichte könnte definitiv etwas werden... Gleichzeitig muss ich
mich und allfällige andere Leser warnen: Es könnte sein, dass in diesen Notizen
sich gelegentlich meine Neigung durchsetzt, ins Plaudern und ins Dozieren zu kommen.
Ich bitte mich und die anderen zum Voraus um Nachsicht.
Montag,
18. April
Der
Polizeibeamte, den sie zu dieser
für einen Bürobetrieb späten Stunde deutlich nach Feierabend entbehren konnten
und deswegen zum Fundort geschickt hatten, war ein junger Schnösel. Nassforsch
und völlig von sich und seiner eigenen Intelligenz überzeugt, obwohl es
durchaus Gründe gegeben hätte, an letzterer leise zu zweifeln. Was er aus
meiner Zeugenaussage in seinem Rapport gemacht hat, weiß ich noch nicht, das
werde ich morgen erfahren, wenn ich nach Trogen auf den Polizeiposten gehe, um
das Protokoll zu unterschreiben. Für den Moment schreibe ich aus dem Gedächtnis
auf, wie ich diese Einvernahme erlebt habe.
Polizist: »Sie haben
also die Leiche gefunden.«
Ich: »Ja.«
»Ihr Name?«
»Eugster.«
»Vorname?«
»Franz.«
»Jahrgang?«
»1953.«
»Wohnhaft?«
»In Wald, Tanne 333.«
»Beruf?«
»Journalist.«
»Arbeitgeber?«
»Ich arbeite
selbständig als freier Journalist.«
»So, so... Dann erzählen Sie mal. Was haben Sie
eigentlich da unten gesucht?«
Mit „da unten“ meinte
er das Bachbett unterhalb der Brücke, die an der tiefsten Stelle der Straße
zwischen Trogen und Wald die Goldach überquert. Und da zwischen Strasse und
Bachbett geschätzte zwölf Meter liegen, war die Frage durchaus berechtigt. Ich
räusperte mich und hub zu einer längeren Erklärung an:
»Ja, also, ich
arbeite zurzeit an einem Buch, das im weitesten Sinne mit dem Appenzellerland
zu tun hat. In erster Linie schreibe ich die Texte, aber weil ich ein leidlich
begabter Amateurphotograph bin, der einen ganz guten Blick für stimmige Bilder
hat, kundschafte ich auch aus, von welchen Standorten aus die Profiphotographen
später am besten ihre Bilder machen. Dafür streife ich gelegentlich plan- und
ziellos durch die Gegend und lasse mich vom Augenblick inspirieren.«
Der Polizist blickte
jetzt ziemlich skeptisch. So eine anarchistische Arbeitsweise schien ihm noch
nie begegnet zu sein. Unbeeindruckt fuhr ich fort:
»Ich ging also von
Wald den direkten Weg durch die Wiese in Richtung Bleichi runter...«
»Moment, wohin?«
Der junge Mann schien
noch nicht sehr lange in der Gegend zu arbeiten, sonst hätte er gewusst, dass
„Bleichi“ das ganze Gebiet westlich der erwähnten Brücke heißt. Ich erläuterte
es ihm auf der Karte, die ich bei solchen Streifzügen immer dabei habe. Das gab
mir gleichzeitig Gelegenheit, dem Polizisten auf der Karte auch den kleinen
Fußweg zu zeigen, der zur Bleichimüli unten am Bach führt, denn da wollte ich
eigentlich hin.
»Dann«, so nahm ich
den Faden wieder auf, »habe ich da oben am Waldrand zwei Kälber gesehen, ein
schwarzes und ein weiß-rot geflecktes, die zusammen ein prächtiges Bild
abgaben. Ich wollte näher ran und bin deshalb vom Weg abgewichen. Die Kälber
tummelten sich an einem ziemlich steilen Abhang. Ich schlich mich vorsichtig
an, und es gelang mir, mit meiner kleinen Kamera ein paar Bilder aufzunehmen,
die mir ein gutes Gefühl gaben.«
Der Polizist murmelte
ungeduldig: »Kommen Sie zur Sache!«
»Bin ja schon dabei.
Jedenfalls bin ich dann einen Moment unachtsam gewesen und mit einem Fuß in
eines dieser Huflöcher geraten – Sie wissen schon, jene Löcher die es in
jedem Wiesenhang gibt, auf dem häufig Kühe weiden. Das hat mich zum Stolpern
gebracht. Ich konnte mich zwar wieder auffangen, doch dabei ist mir die Kamera
aus der Hand geglitten und den Abhang hinunter gekullert. Ich sah ihr fluchend
nach, doch dann verfing sie sich ein ganzes Stück weiter unten in einem
Gebüsch. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihr nachzuklettern.
Das habe ich gemacht
und die Kamera auch gefunden. Sie war etwas verbeult und hatte Schmutzflecken,
doch zum Glück funktionierte sie noch. Nun stand ich vor der Entscheidung, wieder
hochzuklettern oder den Abstieg fortzusetzen. Ich konsultierte meine Karte und
stellte fest, dass der Bach, der weiter unten leise rauschte, kurz unterhalb
der Brücke in der Bleichi in die Goldach münden würde. An jener Stelle war ich
auf einem meiner Streifzüge schon mal gewesen, und wusste deshalb, dass ich
dort problemlos wieder raus käme. Ich brauchte also nur zum Bach abzusteigen
und diesem dann abwärts zu folgen.
Das erwies sich als
ziemlich anstrengend und nicht ganz ungefährlich. Ich weiß, dass ich auch Glück
hatte. Wegen des außergewöhnlich trockenen Frühlings führt der Bach nicht viel
Wasser. So konnte ich ihn an manchen Stellen problemlos überqueren, was auch
nötig war, denn an den Außenseiten der Kurven, die der Bach beschreibt, fällt der
Abhang extrem steil direkt bis zum Bach ab, nur auf den Innenseiten hat man
eine Chance zum Weiterkommen. Item, ich habe es dann doch geschafft. Irgendwo
bin ich allerdings noch einmal in ein Loch getreten, dass trotz der Trockenheit
schlammgefüllt war, und habe mir dabei buchstäblich einen Schuh voll heraus
gezogen.«
Erst jetzt bemerkte
der Polizist meinen schlammverkrusteten einen Schuh und das Hosenbein, das bis
zum Knöchel arg verschmutzt war. Dass meine Haare, die längst mal wieder einen
Schnitt nötig gehabt hätten, ziemlich wirr vom Kopf standen, weil sie vorhin
vor lauter Anstrengungen, aus der wilden Schlucht herauszukommen, klatschnass
geworden waren, musste er allerdings schon früher registriert haben. Alles in
allem dürfte ich einen ziemlich abgerissenen Eindruck auf ihn gemacht haben
– kein Wunder, dass er sich insgeheim wohl fragte, ob ich nicht doch
etwas mit der Leiche zu tun hätte.
»Und dann sind Sie
also da unten gelandet.« Der Polizist zeigte auf die Stelle, an welcher der
Bach, dem ich gefolgt war, in die Goldach mündete.
»Ja. Und da wusste
ich auch, dass ich jetzt in Sicherheit war. Ich turnte von Stein zu Stein und
überquerte so die Goldach. Von dort, das wusste ich, konnte ich leicht dem Bach
ein paar hundert Meter abwärts folgen, um auf den nächsten Weg zu stoßen. Oder,
etwas mühsamer, den Hang zur kleinen Straße hinaufklettern, die von der
Hauptstraße zur Bleichimüli führt. Vorher aber habe ich mich nach links in
Richtung Brücke gewandt. Wo ich schon mal da war, konnte ich noch ein paar
Bilder von der Brücke von unten aufnehmen, das sieht immer eindrucksvoll aus.«
Ich zeigte ihm die
Stelle, bis zu der ich gegangen war. Eigentlich hatte ich ja die Idee gehabt,
unter der Brücke hindurch zu gehen, doch das wäre nur auf einem schmalen,
abschüssigen Sims möglich gewesen, auf dem ich leicht hätte abrutschen können
– und von nassen Füssen hatte ich für diesen Tag genug. Ich hatte mich
schon zur Rückkehr gewendet, als ich mich noch einmal umblickte. Direkt unter
der Brücke bildete der Bach einen offenkundig ziemlich tiefen Tümpel, in dem
das Wasser ruhig, aber für meine Blicke undurchdringlich schwarz lag. Für einen
Moment sandte eine Reflexion von irgendwas einen Lichtstrahl auf diesen Tümpel
und erhellte ihn an einer Stelle einige Zentimeter weit in die Tiefe. Und da
sah ich sie dann: Die bleiche Hand, die mir, von schwachen Wellen bewegt, sanft
zuzuwinken schien.
All das erzählte ich
dem Polizisten, wenngleich etwas weniger dramatisch, denn ich glaube nicht,
dass er einen Sinn für Dramatik besitzt. Wie dem auch sei. Er stellte noch die
unvermeidliche Frage, ob ich irgendetwas am Fundort verändert hätte, die ich
ebenso unvermeidlich verneinte:
»Nein, ich habe
natürlich sofort die Polizei angerufen. Und Sie waren ja dann auch sehr schnell
da.«
Das Kompliment schien
den Polizisten zu freuen. Sein Miene hellte sich etwas auf, als er mir eine
letzte Frage stellte: »Ist Ihnen irgend etwas Verdächtiges aufgefallen?«
Ich überlegte kurz
und sagte dann: »Das Einzige war eine Fußspur im Sand am Rand des Baches, etwa
hundertfünfzig Meter weiter oben. Ich habe mich noch darüber gewundert, dass es
offenbar auch andere Verrückte gibt, die in solchen wilden Schluchten herum
stiefeln. Aber wie alt die Spur war, kann ich natürlich auch nicht sagen, und
ich fürchte, ich bin mit meinen eigenen Schuhen in die Spur hinein getreten.«
»Dann nehmen Sie
bitte morgen bei der Protokollabnahme Ihre Schuhe mit, die Sie jetzt tragen,
damit wir Ihre Spuren identifizieren können.« Damit war ich entlassen, mit Verdacht, wie ich fürchtete.
Ich nahm den Weg hangaufwärts, was mir noch einmal etliche Schweißtropfen
entlockte. Oben angekommen stellte ich fest, dass mich die Ereignisse so viel
Kraft gekostet hatten, dass ich keinerlei Lust mehr verspürte, mich die ganzen
dreihundert Höhenmeter hinauf nach Wald zu Fuß zu quälen. Gott sei Dank gibt es
ganz in der Nähe der Brücke eine Haltestelle des Postbusses, der von Trogen
über Wald nach Heiden führt. Und ein glücklicher Zufall wollte es, dass der nur
stündlich verkehrende Bus in ein paar wenigen Minuten an der Haltestelle vorbei
kommen würde.
Die Beschriftung der
Haltestelle erinnerte mich daran, dass die offizielle Bezeichnung der Gegend
nicht mundartlich „Bleichi“ ist, sondern hoch-deutsch „Bleiche“. So wurde sie
auch bei der Durchsage im Postbus angekündigt, was mich einmal, als ich das im
Bus sitzend hörte, zur Idee animierte, einen Krimi zu schreiben: Eine Leiche in
der Bleiche.
Von der nächsten
Haltestelle rauf bis zum Gipfel des Hügels, auf dem ich in einem kleinen
Häuschen lebe, dauert der Fußmarsch immer noch fast eine halbe Stunde, und so
hatte ich reichlich Gelegenheit, darüber nachzusinnen, dass aus dieser
Schnapsidee blutiger Ernst geworden war. Jetzt gab es tatsächlich eine Leiche
in der Bleiche, und blutig war sie auch, so viel hatte ich noch gesehen, als
sie während meiner Einvernahme durch den Polizisten auf einer Bahre
abtransportiert wurde.
Zuhause angekommen
wusch ich als erstes meinen verdreckten Schuh gründlich und steckte die Hose
gleich in die Waschmaschine. Dann lud ich die Bilder des Tages von meiner
leicht beschädigten Kamera auf meinen Mac und sah sie mir in Groß an. Unter den
Aufnahmen von den Kälbern waren wirklich ein paar gelungene, während ich in der
wilden Schlucht vor lauter Anstrengung kaum zum Photographieren gekommen war.
Die Bilder der Brücke von unten entsprachen meinen Erwartungen.
Hingegen
bewahrheiteten sich bei den Bildern vom Tümpel unter der Brücke meine
Befürchtungen. Ich hatte natürlich versucht, einen heißen Schnappschuss zu
machen, der sich für gutes Geld verkaufen ließe – authentische Bilder von
Wasserleichen ziehen immer. Nur sah man auf den meisten Bildern gar nichts, und
das einzige, was einigermaßen viel versprechend erschien, erwies sich bei
näherer Betrachtung ebenfalls als Niete. Mit viel Phantasie konnte man bei
größtmöglicher Vergrößerung so etwas wie eine Hand erkennen, doch bei
kritischer Betrachtung wirkte das alles nur wie ein bedeutungsloser Haufen von
Pixels, ähnlich den berühmten „Aufnahmen“ des Monsters von Loch Ness. Nein, so
gut es meiner Kasse getan hätte, mit diesem Bild war kein Staat und schon gar
keine Kohle zu machen.
Dennoch brachte das
Betrachten dieses Bildes meine ganzen Gefühle noch einmal so richtig in
Wallung. Ich wusste ja, dass eine Leiche da gewesen war, und wer hat schon
gerne unheimliche Begegnungen der dritten Art mit einer Leiche? Ich werde
jedenfalls in dieser Nacht vermutlich schlecht schlafen. |
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